EU-Parlamentspräsidentin Metsola in Wien: Austausch der europapolitischen Standpunkte im Nationalrat
Hitzige Debatte nach der Rede der Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola im Parlament
Nach der Rede der Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola in der heutigen Nationalratssitzung tauschten die einzelnen Fraktionen ihre europapolitischen Standpunkte und Reformvorstellungen aus. Österreich sei ein verlässlicher und aktiver Partner der Union, betonten die ÖVP-Vertreter:innen, man wünsche sich aber mehr Mut in Sachen Migration, Budget und Erweiterung. Da multiple Krisen gemeinsame europäische Antworten erfordern, müsse man den verschiedensten Formen von Populismus entschieden entgegentreten, forderten die Redner:innen der Grünen. Die SPÖ wiederum plädierte für ein aktives Mitgestalten in Richtung einer demokratischeren, klimafreundlicheren, ökologischeren sowie sozialeren Union. Auch die NEOS forderten ein entschiedenes Vorgehen gegen antidemokratische Kräfte. Gleichzeitig müsse Europa aber auch „liefern“, denn ein Wandel sei notwendig. Eine „traurige Bilanz“ der fast 30-jährigen Mitgliedschaft in der EU zog die FPÖ, da weniger als die Hälfte der Bevölkerung der Meinung sei, dass die „EU eine gute Sache für Österreich“ sei. Die FPÖ übte scharfe Kritik am Agieren der EU und ortete eine „weltfremde und bürgerferne Politik“ ,die die Interessen der Nationalstaaten negiere.
ÖVP: Mehr Mut in Sachen Migration, Budget und Erweiterung
Der außenpolitische Sprecher der ÖVP Reinhold Lopatka dankte Präsidentin Metsola dafür, dass sie in ihrer Rede eine klare Standortbestimmung vorgenommen habe. Europa sei eine Werte- und Sicherheitsgemeinschaft, betonte er, und dieses Fundament müsse angesichts der zahlreichen Krisen noch weiter ausgebaut werden. Auch wenn die EU in der Vergangenheit nicht immer geeint aufgetreten sei, habe die entschlossene Reaktion auf die Invasion Russlands in die Ukraine gezeigt, dass ein mutiges Agieren zur politischen und vor allem auch zur militärischen Stärkung der Union beitrage. Mehr Mut wünsche er sich auch in anderen Bereichen, wie etwa bei der Migration, wo es einen robusten Außengrenzschutz brauche, oder in Budget- und Wirtschaftsfragen. Im Sinne der jungen Generation sei er auch der Meinung, dass ein so großes Paket wie im Fall von „Next Generation EU“ die Ausnahme bilden sollte, da nach der Coronakrise und dem Krieg in der Ukraine der entstandenen Schuldenberg wieder abgebaut werden müsse. Für Österreich sei es zudem ein wichtiges Anliegen, neben der Vertiefung auch die Erweiterung der EU um die Staaten des Westbalkans voranzutreiben, wobei es eine realistische Beitrittsperspektive geben müsse.
Große europäische Herausforderungen würden europäische Lösungen und Zusammenarbeit benötigen, erklärte EU-Abgeordnete Angelika Winzig (ÖVP). „In Vielfalt geeint“ habe man in letzter Zeit gezeigt, dass Krisen gemeistert werden können, wenn solidarisch gehandelt werde. Hinsichtlich des Klimaschutzes brauche es Dekarbonisierung, aber nicht Deindustrialisierung, also eine „vernünftige“ Transformation.
SPÖ sieht Handlungsbedarf in Sachen soziale Gerechtigkeit, dem Schließen von Steuerlücken und der Demokratisierung der EU
Österreich habe sich seit seinem EU-Beitritt immer als Mitgliedsstaat verstanden, das aktiv Europapolitik mitgestalten möchte, unterstrich Jörg Leichtfried (SPÖ). Zu tun gebe es derzeit genug, urteilte er, denn die Europäische Union müsse nicht nur demokratischer und transparenter werden, sondern in vielen Bereichen eigene starke Akzente setzen. Dies gelte etwa für die Medikamentenproduktion, die wieder verstärkt nach Europa zurückgeholt werden müsse, oder für den Ausbau der Unabhängigkeit von fossiler Energie. Auch in der Frage der Steuergerechtigkeit sah Leichtfried Handlungsbedarf, da es noch immer nicht gelungen sei, die von großen Konzernen genutzten Lücken im System zu schließen. Weiters wies er auf Probleme hin, die durch Scheinfirmengeflechte oder Lohndumping entstünden. Eine positive Entwicklung der EU könne nur dann gewährleistet werden, wenn jede Bürgerin, jeder Bürger das Gefühl habe, „dieses Europa nützt mir etwas“, war Leichtfried überzeugt. Deshalb sei auch der regelmäßige Austausch der nationalen Parlamente mit Vertreter:innen des Europäischen Parlaments sehr wichtig. Was den schrecklichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine angeht, so habe man gesehen, wieviel ein geeintes Europa bewegen könne. Es wurde damit klar zum Ausdruck gebracht, dass nicht das „Recht des Stärkeren gelte, sondern die Stärke des Rechts“.
Die Europäische Union müsse sozialer, solidarischer, souveräner, demokratischer und transparenter werden, bekräftigte auch Katharina Kucharowits (SPÖ). Es gelte die Abhängigkeit von Energie, Technologien und Digitalisierung zu senken. Ebenso müsse die Ausbeutung von Arbeitskräften in Europa gestoppt, Armut bekämpft und Menschenrechte gewahrt werden, forderte die Sozialdemokratin eine demokratischere, klimafreundlichere, ökologischere sowie sozialere Union.
FPÖ: Umfassende Kritik an der EU von der Corona-Politik bis hin zur Positionierung beim Thema Ukraine
Kritische Worte fand FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst, die den Neuigkeitswert der Ausführungen von Präsidentin Metsola als „nicht so groß“ bezeichnete. Die darin verwendeten „Worte, Sätze und Worthülsen“ kenne man nämlich sehr gut von den Reden der Europaministerin Karoline Edtstadler. Laut dem Ergebnis des letzten EU-Barometers im Juni 2022 sei mittlerweile weniger als die Hälfte der heimischen Bevölkerung der Meinung, dass die „EU eine gute Sache für Österreich ist“. Nach fast 30 Jahren Mitgliedschaft sei dies ihrer Meinung nach eine traurige Bilanz. Daran seien aber nicht die Kritiker:innen Schuld, betonte Fürst, sondern das Agieren der EU-Institutionen. Als Beispiele führte sie den „hochmütigen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus“ an, die „hilflose und verantwortungslose“ Corona-Politik, das radikale Aus für die Verbrennermotoren oder „das Niederreißen der Bastion des Friedens“ an. In keinem Interview von Metsola zum Thema Ukraine seien etwa die Begriffe „Frieden, Deeskalation oder Verhandlung“ vorgekommen, meinte Fürst Metsola sei die oberste Vertreterin einer „weltfremden, bürgerfernen, über die Interessen der Nationalstaaten drüber fahrenden Politik“ sowie des „Mittelpunkts der Korruption“, schloss Petra Steger (FPÖ) an ihre Fraktionskollegin an. Die Europäische Union betreibe laufend und schleichend Kompetenzerweiterungen zu Lasten der Nationalstaaten. So solle deren letzter „Schutzanker“, das Vetorecht, fallen, kritisierte Steger. Vielmehr brauche es ein starkes Europa der starken souveränen Nationalstaaten, ein Europa der „Vaterländer“.
Grüne: Multiple Krisen erfordern gemeinsame europäische Antworten
Europa stehe vor sehr großen Herausforderungen, die nur gemeinsam im engen europäischen Verband auf den Grundlagen der Solidarität, des Rechtsstaats und der demokratischen Prinzipien gelöst werden können, war Abgeordnete Meri Disoski (Grüne) überzeugt. Dies betreffe nicht nur den Umgang mit dem Völkerrechtsbruch Russlands und den Angriff gegen die Ukraine, sondern auch die Klimakrise, wobei mit dem Green Deal die ökologische Transformation Europas erreicht werden soll. Die multiplen Krisen kennen keine Ländergrenzen, wie man derzeit etwa ganz aktuell an den Unwetterereignissen in Südeuropa sehen könne oder am Problem der Teuerung, das alle Mitgliedstaaten betreffe. Bedauerlicherweise gebe es sowohl auf EU-Ebene als auch in Österreich Kräfte, die diese Tatsachen leugnen oder sogar das Gegenteil behaupten. Kein Problem sei aber jemals durch „Lügen und Leugnen“ gelöst worden, richtete Disoski der FPÖ aus, die zudem vor den verschiedensten Formen des Populismus warnte. Der Versuch Putins, die europäische Sicherheitsstruktur zu zerstören, habe aber gleichzeitig gezeigt, wie schnell und effektiv die Europäische Union handeln könne.
Der Zusammenhalt mache die Europäische Union stark und nicht das Auseinander-Dividieren und Polarisieren, meinte EU-Abgeordneter Thomas Waitz (Grüne) in Richtung FPÖ. Man müsse die Werte der Demokratie, der Freiheit und der Menschenrechte in einer Welt verteidigen, die sich zusehends in Richtung autoritärer Regime entwickle. Es brauche auch Zusammenhalt und gemeinsames Vorgehen, um die Transformation der Wirtschaft sowie der Arbeits- und Lebensweisen in Richtung einer umwelt- und klimafreundlichen Welt zu schaffen. Hinsichtlich der Schengen-Erweiterung in Richtung Rumänien und Bulgarien werde faktenwidrig argumentiert, kritisierte Waitz und warnte vor den wirtschaftlichen Folgen einer Nicht-Erweiterung. Ebenso gelte es, die Länder des Westbalkans auf ihren Weg in die EU zu unterstützen und hinsichtlich des Mercosur-Abkommens die nationalen Parlamente zu involvieren.
NEOS für entschiedenes Vorgehen gegen antidemokratische Kräfte
Der Beitritt Österreichs zur EU habe dazu geführt, dass „unser Land in das Herz Europas“ gerückt worden sei, erinnerte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. Im Rückblick könne die österreichische Mitgliedschaft nur als „unheimliche Erfolgsgeschichte“ bezeichnet werden, weil damit Wachstum, Wohlstand, ein „Durchlüften“ sowie Frieden verbunden waren. Es handle sich dabei um ein Lebensmodell, das Vorbild für viele andere Länder sei, aber das seit dem Angriff Russlands gegen die Ukraine auch auf dem Spiel stehe. Es gelte die europäischen Werte, die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie entschieden gegenüber „autoritären und faschistischen Systemen“ zu verteidigen, appellierte Meinl-Reisinger, zumal die antidemokratischen Kräfte leider immer mehr an Boden gewinnen würden. Der FPÖ warf sie vor, „ein schäbiges Spiel“ zu betreiben, da sie die europäische Beitrittsperspektive für die Ukraine mit einer Steigerung des Konflikts in Zusammenhang gebracht habe. Gleichzeitig müsse Europa aber auch „liefern“, denn ein Wandel sei notwendig, unterstrich die Klubobfrau der NEOS.
Große Herausforderungen können nur gemeinsam gelöst werden, meinte auch Nikolaus Scherak (NEOS). Es brauche gemeinsame europäische Lösungen, um den Wohlstand für die nächsten Generationen zu erhalten. Angesichts der Zunahme autokratischer Staaten dürfe man die Werte der EU nicht als gegeben und immerwährend annehmen. Der Populismus der FPÖ aber auch anderer Parteien versuche einfache Lösungen zu propagieren. So sei das populistische Nein Österreichs zum Mercosur-Abkommen von „Kleingeistigkeit“ getrieben. Es sei aber essentiell, dass die EU ihre sozialen und ökologischen Standards in die Welt exportiere. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass Handel – und nicht „populistische Kleingeistigkeit“ – Wohlstand und Freiheit schaffe.